OFFENER BRIEF
„Alexander von Humboldt – Ein Repräsentant des europäischen Kolonialismus“
Antwort auf den Offenen Brief des Humboldt-Experten Frank Holl vom 22. Juli 2013, der auch auf der Informationsplattform www.avhumboldt.de veröffentlicht wurde:
Berlin, 10.10.2013
Sehr geehrter Herr Holl,
haben Sie Dank für Ihren Offenen Brief zu Alexander von Humboldt. Wir wissen es zu schätzen, dass Sie als ausgewiesener Spezialist ausführlich auf unsere Kritik an einem der beiden Namensgeber des Humboldt-Forums eingehen. Auch wenn die Humboldt-Kritik nur einen Aspekt unserer umfassenden und grundsätzlichen Infragestellung des Gesamtprojekts darstellt, halten wir diese Debatte für wichtig. Denn Humboldts Name steht ja für den Geist des Ganzen und ist insofern mit allen anderen Aspekten des Kulturprojekts eng verbunden.
Zur Begründung unserer Ablehnung Alexander von Humboldts haben wir in unserer Kampagnenresolution angeführt, dass sich Preußens Vorzeige-Wissenschaftler mit seiner mehrjährigen Forschungsreise bewusst und maßgeblich an der Kolonisierung Lateinamerikas beteiligt hat. Sie beurteilen das anders – und gehen auf die konkreten Umstände seiner Reise nicht weiter ein. Als wäre Alexander von Humboldt als Tourist unterwegs gewesen, schreiben Sie: „Zwischen 1799 und 1804 bereiste er die spanischen Kolonien in Lateinamerika“. Zudem halten Sie uns eine ganze Reihe von Humboldt-Zitaten und die Meinung der portugiesischen Kolonialverwaltung entgegen, die seine antikoloniale Haltung und seinen Respekt gegenüber der kolonisierten Bevölkerung belegen sollen.
Wir sind dem Verweis auf Ihre eigenen Aufsätze zum Thema gefolgt und meinen, dass Ihre eigenen Artikel keinerlei Zweifel am kolonialen Kontext der Forschungsreise lassen. Dort heißt es:
… zum einen erhielt Humboldt am spanischen Hof von König Karl IV. die unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung seiner Reise: die Erlaubnis, die spanischen Kolonien frei und unbeaufsichtigt erforschen zu dürfen. ”Nie war einem Reisenden eine umfassendere Erlaubnis zugestanden worden, nie hatte die spanische Regierung einem Fremden größeres Vertrauen bewiesen” schrieb er. Die spanische Krone erteilte dem Preußen diese Legitimation allerdings nicht ohne Eigennutz, denn von dem ausgewiesenen Bergbauspezialisten erhoffte man sich beispielsweise Hinweise auf die bessere Nutzung der zahlreichen Bergwerke.[1]
Die weitgehende Übereinstimmung der Interessen Humboldts und derjenigen der spanischen Kolonialmacht führte nicht nur dazu, dass sich der Forscher in den Kolonien frei bewegen konnte. Humboldts Untersuchungen wurden vom Kolonialregime auch nach Kräften unterstützt:
Denn die Vizekönige, Generalkapitane, Gouverneure und Beamten der spanischen Kolonien waren nicht nur verpflichtet, ihm bei der Durchführung der eigentlichen Reise zu helfen, sie öffneten auch die Türen zu den Sammlungen und Archiven. Die Kolonialverwaltung war Helfer und Informationsquelle. [2]
Eine Grundvoraussetzung für dieses bereitwillige Entgegenkommen der spanischen Kolonialbehörden war, dass Humboldt seine Reise selbst finanzierte, sich mit seinen eher liberalen politischen Vorstellungen zurückhielt und das Sklavenhalter-Regime nicht öffentlich an den Pranger stellte:
Zu dieser Art des Reisens gehörte es, Konflikte zu vermeiden und sich mit offener Kritik an den herrschenden politischen Zuständen, vor allem an der Missachtung der Menschenrechte, zurückzuhalten. Sein Pass mit dem Siegel des spanischen Königs verpflichtete ihn nach außen zur Loyalität gegenüber der spanischen Krone und deren Repräsentanten.[3]
Doch dies war nicht alles, was die spanische Krone für ihre keineswegs uneigennützige Hilfsbereitschaft erwartete. Humboldt musste die Ergebnisse seiner Forschungen, die für die effektive Beherrschung und Ausbeutung der von ihm „bereisten“ Gebiete von Bedeutung sein konnten, den Behörden zeitnah – das heißt lange vor ihrer Veröffentlichung – zur Verfügung stellen. Es ist nicht überliefert, dass ihm diese Unterstützung des spanischen Kolonialregimes Gewissensbisse bereitet hätte. Im Gegenteil: In seiner Reise nach Südamerika verweist er sogar mit einem gewissen Stolz auf seine Forschungen im Dienste der Kolonialmacht:
Ich übergab während meines Aufenthalts in Amerika den Statthaltern der Provinzen Abschriften des von mir gesammelten Materials über die Geographie und Statistik der Kolonien, das dem Mutterlande von einigem Nutzen sein konnte.[4]
In diesem Zusammenhang davon zu sprechen, dass „Humboldts Reise nicht einer bestimmten europäischen Nation, sondern, mit dessen eigenen Worten, ‚dem Fortschritt der Naturwissenschaften’” [5] gedient hätte, führt in die Irre und sitzt Humboldtscher Universal-Rhetorik auf. Die Produktion von Herrschaftswissen wird dabei in einen selbstlosen Beitrag zum Nutzen der gesamten Menschheit umgedeutet. Ungeachtet der späteren Veröffentlichung eines Teils seiner Forschungsergebnisse in Ausgaben, die auch nur für Wohlhabende und europäisch Gebildete zugänglich waren, hatten Humboldts Erhebungen aber vor allem für diejenigen einen konkreten Wert, die über den direkten Zugriff auf die natürlichen und gesellschaftlichen Ressourcen der Kolonisierten verfügten.
Nur weil diese Macht schon bald nach Humboldts Reisen den Händen des spanischen Königshauses entglitt und schließlich den nun unabhängigen Kolonisten vor Ort zufiel, waren es schließlich die neuen Herren des Landes, die von Humboldts Untersuchungen am stärksten profitierten. Es war diese Elite, die den Forscher Humboldt – in demonstrativer Abkehr von den spanischen Konquistadoren – schließlich als „wahren Entdecker der Neuen Welt“ feierte und ihm zahlreiche Denkmäler setzte. Doch die bolivianische Soziologin Silvia Rivera Cusicanqui hat uns vor einiger Zeit erneut daran erinnert, dass diese Elite nicht zu verwechseln ist mit den bis heute diskriminierten Nachfahren der Kolonisierten:
(…) today, in the middle of the richest neighbourhood of La Paz, stands a monument in honour of Humboldt. This gives us an idea of what he means for the upper classes. It reminds us some common misinterpretations about Humboldt‘s legacy in Latinamerica. For example, Mary Louise Pratt thinks that he is in the „contact zone“, that there is a middle ground between Europe and the native cultures. But the people who are living around that statue in today’s La Paz are not in the middle, they are Euro-Bolivians. People who think – as much as Humboldt did – that the Indians are one more species of the natural world and that they have to be objectified, reified and put into museums as remnants of a lost past. Therefore this statue is very representative for present day interests and for those of the people who collected the money for building it in the 1960ies (…)[6]
Bezeichnend für Humboldts hier angesprochene Geringschätzung Indigener, die er bei Gelegenheit auch als „Wilde“, „Horden“ und „halbbarbarische Völker“ bezeichnete, ist seine „Sammlung“ und Verschiffung menschlicher Überreste zu anthropologisch-rassekundlichen Forschungszwecken. Sie leugnen diesen Umstand nicht, betonen aber, dass es sich dabei nicht um „Indianerleichen“ sondern lediglich um „Indianerskelette“ gehandelt hätte.
Dieser ethisch fragwürdigen Differenzierung, die eine Verdinglichung der Überreste indigener Menschen vornimmt, steht die Ansicht derer entgegen, welche Tote als Menschen, Angehörige, Ahnen betrachten. Wie Humboldt selbst berichtet, gab es erheblichen Widerstand, als seine Plünderung einer Grabstätte ruchbar wurde:
Wir nahmen aus der Höhle von Ataruipe mehrere Schädel, das Skelett eines Kindes von sechs bis sieben Jahren und die Skelette zweier Erwachsener von der Nation der Atures mit. (…) Sie machten fast eine ganze Maultierladung aus, und da uns der abergläubische Widerwillen der Indianer gegen einmal beigesetzte Leichen wohlbekannt war, hatten wir die Körbe in frisch geflochtene Matten einwickeln lassen. Bei dem Spürsinn der Indianer und ihrem feinen Geruch half aber die Vorsicht leider nichts. (…) Kaum (…) hatten die guten Leute unser Gepäck angerührt, so prophezeiten sie, dass das Lasttier, “das den Toten trage” zugrunde gehen werde. Umsonst versicherten wir, sie irrten sich, in den Körben wären Krokodil- und Seekuhknochen; sie blieben dabei, (…) und “das seien ihre alten Verwandten”. [7]
Offenbar gingen die in Ihrem Schreiben zitierten Worte Alexander von Humboldts also Hand in Hand mit Forschungs- und Sammlungsmethoden, welche die Würde des Menschen massiv verletzten. Für Humboldt waren nicht alle Menschen gleich: Er hat sich freiwillig in den Dienst eines selbst in Europa berüchtigten Unrechtregimes gestellt und er hat seine privilegierte Stellung innerhalb der kolonialen Hierarchie für kriminelle Handlungen genutzt, die ihm in Europa unmöglich gewesen wären. Humboldts Wissenschaft diente vor allem ihm selbst.
An einem der von Ihnen gewählten Humboldt-Zitate lässt sich gut verdeutlichen, warum ein solcher Mann für unsere globalisierte Migrationsgesellschaft als Namens- und Ideengeber, als Vorbild und Identifikationsfigur ungeeignet ist:
Das Glück der Weißen ist aufs Innigste mit der kupferfarbenen Rasse verbunden. Es wird in beiden Amerikas überhaupt kein dauerndes Glück geben, als bis diese, durch lange Unterdrückung zwar gedemütigte, aber nicht erniedrigte Rasse alle Vorteile teilt, welche aus den Fortschritten der Zivilisation und der Vervollkommnung der gesellschaftlichen Ordnung hervorgehen.
Man kann nicht bestreiten, dass Humboldt hier auf die Teilhabe indigener Menschen drängt und damit vielen seiner europäischen Zeitgenossen voraus ist. Als Namensgeber qualifiziert ihn das aber noch lange nicht. Denn wohin soll uns jemand lenken, dem an erster Stelle das „Glück der Weißen“, die Amerika kolonisierten, am Herzen lag? Wozu soll uns ein Wissenschaftler inspirieren, der sich an der Konstruktion menschlicher „Rassen“ beteiligte? Und wohin soll uns ein Europäer führen, für den die „Fortschritte der Zivilisation“ und die „Vervollkommnung der gesellschaftlichen Ordnung“ selbstredend Errungenschaften weißer Europäer waren?
Alexander von Humboldt ist tot. Es ist an der Zeit, auch die Herrschaft stützende Fiktion einer „rein wissenschaftlichen“, interessefreien Erforschung, Darstellung und Musealisierung der Welt durch weiße Akademiker zu begraben.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Kopp
für die Organisationen des Koordinationskreises
AfricAvenir International e.V.
AFROTAK TV cyberNomads
Artefakte // anti-humboldt
Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag BER e.V.
Berlin Postkolonial e.V.
glokal e.V.
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, ISD-Bund e.V.
[2] Ebd. S. 4-5
[3] Ebd. S.6
[4] Alexander von Humboldt. Die Reise nach Südamerika. Vom Orinoko zum Amazonas. Aus dem Franz. übersetzt von H. Hauff, bearbeitet und herausgegeben von Jürgen Starbatty, Lamuv Verlag Göttingen 1990, 11. Aufl. 2010, Kap.1, S.15-16
[5] Holl (2004), S.4
[6] Silvia Rivera Cusicanqui in: Der Anti-Humboldt. Eine Veranstaltung zum selektiven Rückbau des Humboldt-Forums (2009), online: http://johannespaulraether.net/humboldtforum/anti_humboldt_12_07_09.pdf
[7] Alexander von Humboldt. Die Reise nach Südamerika. Vom Orinoko zum Amazonas. Aus dem Franz. übersetzt von H. Hauff, bearbeitet und herausgegeben von Jürgen Starbatty, Lamuv Verlag Göttingen 1990, 11. Aufl. 2010, Kap.1, S.385-386